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Songs für „Kannabeewedder“

In Hof und Helmbrechts stellt Harry Tröger die CD Waldgeschratet“ vor, für die er zusammen mit Ralf Wunschelmeier alte Wunder- und Gruselgeschichten kurios-mundartlich vertont hat: „Musikgschichdn aus die Heiländs vo Oberfrankn“. Dabei wird dem unermüdlichen Drummer die Auszeichnung als Künstler der Europäischen Metropolregion Nürnberg verliehen.

Von Michael Thumser, hochfranken-feuilleton.de

Hof, 21. Mai – Hier kann selbst der eingefleischte native speaker, der lebenslang in Hochfranken ortsfeste Muttersprachler, noch viel lernen. Die CD hörend, könnte er, schriebe er nur schnell genug mit, eine ansehnliche Wortschatzliste aufstellen, um sie dann wie einst beim gymnasialen Vokabellernen zu memorieren:

Kuhbu = Kuh-, Hütejunge (Cowboy);
Gschtorz = Gestrüpp;
Kartertiechil = flaches Schälchen für den Geldeinsatz beim Kartenspiel;
glieganz = im Großen und Ganzen

... Herrliche Bezeichnungen, ländlich-sittlich und von krachender Urtümlichkeit. Wo hört man dergleichen noch.

Man hört sie auf der CD „Waldgeschratet“, einem Projekt, das die Münchberger Musik-Aktivisten Harry Tröger und Ralf Wunschelmeier unlängst in die Öffentlichkeit trugen. Halb songbook, halb tönendes Sagenbuch: „Es is Geisterstund, und der Wech is lang, / ohna fimf Moß Bier werd der angsterbang“. Durch die Ohren sausen hitzige, witzige Rocksongs, zu genießen sind von alters her überlieferte Wunder- und Gruselgeschichten aus Frankenwald und Fichtelgebirge, publiziert gleichsam im Großformat, nämlich in einer DVD-Hülle, aber „mid ohna Bildla“,
wie die Urheber ausdrücklich auf ihr vermerkten.

Am morgigen Mittwoch um 19.3o Uhr ist die grandiose Schöpfung der beiden im – bereits ausgebuchten – Hofer Kunstkaufhaus Königstraße 25) kennenzulernen, am Sonntag um 14 Uhr neuerlich im Helmbrechtser Textilmuseum (Münchberger Straße 17), wo im April bereits die „Erstaufführung“ stattfand. Beim ohnehin reiz- und glanzvollen Auftritt in Hof erhält Harry Tröger obendrein aus der Hand von Oberbürgermeisterin Eva Döhla eine in Nordbayern begehrte Auszeichnung: Eine Jury wählte ihn zum Künstler der
Europäischen Metropolregion Nürnberg.

Mit dem gesuchten Schlagzeuger, schreibt der Hofer Kulturamtsleiter Peter Nürmberger auf der Website der Metropolregion, werde „ein musikalischer Tausendsassa“ geehrt, der von der Komposition bis zum Mischpult, „von der Idee bis ins Ohr der Zuhörerschaft“ die Produktion „auf höchstem Niveau“ beherrsche. „Einem größeren Publikum im Raum Hof bekanntgeworden ist er mit Projekten wie ‚5 Minuten Pause‘ oder dem Bandprojekt ‚Waldschrat‘, das es schon seit 1979 gibt.“ Auch im Hofer Theater, sobald dort statt der Symphoniker eine Combo
gebraucht werde, stifte Tröger „das rhythmische Fundament an Trommel, Becken und was sonst noch klingt“.

Radikal mundartlich

Eine Auswahl aus dem reichen hochfränkischen Sagenschatz radikal mundartlich und populärmusikalisch zeitgemäß, dabei mit viel Spaß an verschrobenem Stilbruch, kurioser Satire und deftiger Parodie aufbereitet – wieder einmal verdankt sich ein originelles Unterfangen der Lähmung, die das Corona-Virus über Kultur und
Kunst brachte. Als wichtigster Partner zeichnet der Gitarrist Ralf Wunschelmeier mitverantwortlich für das Album. Glaubt man der Kleinen Entstehungsgeschichte“ auf der dazugehörigen Internetseite, so ging Tröger über zehn Jahre lang mit der Idee schwanger“, die freilich erst eigentlich im Januar 2021 in Peter Kampschultes Kulturkantine des Theaters Hof gezeugt wurde. 

Ausgetragen hat Tröger, in ständigem Austausch mit Wunschelmeier, den Keim von da an hauptsächlich im „Exil“: nicht auf dem „Kannabee“ daheim, sondern in einem „Gaddnhaisla“ – einem Gartenhäuschen; wieder so eine schöne Vokabel aus dem Bayreuth/Münchberg/Hofer Dialekt“, für den sich der dichtende Drummer zum Zweck möglichst breiter Verständlichkeit in seinem Sprachraum entschied.

Auf etliche gleichgesinnte Freunde und Helferinnen konnten die beiden bauen, als es daran ging, das Konzept im Studio professionell umzusetzen. Damit den „Kannabeewedder- Musikgschichdn aus die Heiländs vo Oberfrankn“ auch Menschen folgen können, die nicht den hiesigen Aborigines und native speakers angehören, enthält das ausführliche Beiheft neben der dialektalen auch eine hochdeutsche Version zum Mit- und Nachlesen. So vergrößert sich noch die Freude an mancher unverfrorenen Aktualisierung, etwa wenn die Bürger von Zell über
die Trockenheit diskutieren: „Der Lehrer maant: ‚Des liecht glieganz / an unnrer CO2-Bilanz! / Die Viecher furzn vill zer vill, / der Klima- Overkill!‘ / Na Wert heerst hinterm Tresn brammeln: ‚Mir missn erscht moll Datn sammeln.‘“ Um die mit Geistesblitzen, prallen Pointen und frischen Frivolitäten flottgemachten Stoffe auch hörend im
Urtext kennenzulernen, tragen Anja Stange, Schauspielerin am Theater, und Bettina Gemeinhardt im Anschluss an die Songs die von Andreas Reichold und Adrian Roßner formulieren Prosavorlagen vor.

 

„Es gängert schlimmer.“

In Märchenbuchmanier illustriert Barbara Liebings kindlich-bunter Bildschmuck, was Tröger, Wunschelmeier und ihre Schar kehlig singend und gepfeffert klingend eher für ein herangewachsenes, mithin idiom- und lebenserfahrenes Publikum aufbereiteten. In Soolnstaa“ (Saalenstein) treibt etwa die Weiße Frau, am Löwenberg eine Hexe ihr Unwesen, und die Gründung der Stadt Hof vollzieht sich gleich zweifach: „Des worn die Days of Sumpf and Roses, / des worn die Days, when Hof was born.“ Die Aborigines dort „ham heit nuch immer / aweng a sumpferte Oart, nojo, es gängert schlimmer.“

Zum „Tutnkopf“ (Totenkopf) im Fichtelgebirge zwischen Hoher Matze und Platte führt, oder besser: verführt, der erotischste, freilich immer noch jugendfreie Beitrag des Programms. Auf besagter Erhebung lockt eine „bremserda Nixn“ (ein brünstiger weiblicher Wassergeist) mit „Saitnspill“ und „Gsang“ pubertäre Jünglinge in den Lust- und Liebestod – ein Lied, das einen der schönsten, zugleich kryptischsten Sätze der Platte enthält: „No tuta
Teenies lang niemols ned no!“ Ein Volkspoesiegewitter im Miniaturformat, voll von erregtem Rhythmus und ratternden Alliterationen. Wie unerheblich klänge stattdessen der nüchterne Ratschlag: Berühre niemals tote Jugendliche!

Die CD online bestellen: hier lang.

Credits: Mit freunlicher Genehmigung von Michael Thumserhochfranken-feuilleton.de